Bielo Vasquez ist einer von schätzungsweise 70'000 Menschen im Kanton Bern, die Mühe mit einer der Grundkompetenzen haben. Dazu gehören Lesen, Schreiben, Rechnen und der Umgang mit digitalen Medien. Als Jugendarbeiter motiviert er die jungen Menschen dazu, unbeirrt ihren Weg zu gehen. Denn auch er hat sich nicht beirren lassen und mit seiner Schreib- und Leseschwäche die Ausbildung zum Jugendarbeiter absolviert. Wie er den Spass am Lernen zurückgewonnen hat und welche Tricks er im Alltag anwendet, erfahren Sie im Interview.

Herr Vasquez, können Sie beschreiben, welche Alltagssituationen für Sie schwierig sind und wie Sie damit umgehen?
Bielo Vasquez: Allgemein ist Lesen und Schreiben für mich herausfordernd, egal ob das jetzt Post erledigen oder die Steuererklärung ausfüllen ist. Ich lese langsam und habe Mühe, das Gelesene zu verstehen. Dadurch ermüde ich schnell. Deshalb war das Lesen von langen Texten im Studienalltag sehr herausfordernd. Auch das Schreiben und Ausformulieren von Texten ist für mich nicht einfach.
Im Studium habe ich mir deshalb angewöhnt, meine Schwächen offen zu kommunizieren. Weil meine Legasthenie diagnostiziert ist, habe ich bei Studienarbeiten und Prüfungen einen Nachteilsausgleich erhalten. Diesen habe ich jeweils vor den Prüfungen mit der Schulleitung besprochen. Meine Mitstudierenden haben mir viel Unterstützung angeboten, haben mir Texte vorgelesen. Im jetzigen Job als Jugendarbeiter habe ich mir Textbausteine erstellt, die mir das Schreiben von E-Mails erleichtern. Auch meine Familie und mein Freundeskreis ist eine grosse Hilfe.
Wie hat sich Ihr Umgang mit herausfordernden Situationen verändert?
Bielo Vasquez: In der Grundschule habe ich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Darum war ich zu Beginn meines Studiums sehr unsicher und litt unter Versagensangst. Weil ich aber offen mit meiner Schwäche umgehe, dies auch meinen Klassenkameradinnen und -kameraden kommuniziert habe und bei der Schulleitung durch den Nachteilsausgleich Unterstützung erhalten habe, ist der Spass am Lernen zurückgekommen. Und ich habe meine Angst vor der Schule verloren.
Zudem bin ich selbstsicherer geworden und habe rausgefunden, wie ich mit meiner Schwäche am besten umgehen kann.
Was oder wer motiviert Sie, trotz ihrer Legasthenie «dranzubleiben»?
Bielo Vasquez: Ich bin zu 100 Prozent intrinsisch motiviert. Aufgrund meiner Schwäche sind mir viele Chancen verwehrt geblieben; auch weil ich eine ungenügende Schulbildung hatte. Ich wollte mir aber ermöglichen, einen Beruf zu erlernen und eine richtige Ausbildung zu absolvieren. Das war meine Motivation, mich zu verbessern. Meinen Beruf soziokulturelle Animation (Gemeindeanimator)» gibt es mittlerweile auf Stufe höhere Fachschule. Ich bin stolz auf mich, dass ich drangeblieben bin.

Was machen Sie gerne – und in Ihren Augen – auch gut?
Bielo Vasquez: Ich bin gut im Umgang mit Menschen. Ich bin empathisch, motivierend, gesellig und kann gut zuhören. Mir fallen kreative Arbeiten sehr leicht: Das reicht von Musik zu malen, filmen bis hin zu fotografieren.
Was macht Ihnen Mut, weiterzulernen?
Bielo Vasquez: Ich weiss, dass ich klug bin und dass meine Schreib- und Leseschwäche, mein «schulisches Versagen» in der Kindheit und Jugend nichts mit meiner Intelligenz zu tun hat. Dass ich die Ausbildung geschafft habe, hat mir viel Mut gemacht und Sicherheit gegeben. Das gebe ich gerne den jungen Menschen in meinem Berufsalltag weiter und will sie ebenfalls ermutigen, ihren Weg zu gehen und sich nicht beirren zu lassen.
Möchten Sie anderen betroffenen Personen etwas mitteilen?
Bielo Vasquez: Das Beste ist, intrinsisch motiviert zu sein, also sich selbst zu motivieren. Sucht euch etwas, das euch Spass macht. Sucht euch Unterstützung und habt keine Angst, Hilfe anzunehmen. Dass ich eine Ausbildung machen konnte, ist eine der besten Erfahrungen, die ich in meinem Erwachsenenleben machen durfte!
Was sagen Sie Personen, die noch nie etwas über Grundkompetenzen gehört haben?
Bielo Vasquez: Absolut niemand ist perfekt. Jeder Mensch hat eigene Stärken und Schwächen. Bei den einen sind sie offensichtlicher, bei den anderen sind sie verschleiert. Ich denke, wir sollten als Gesellschaft viel mehr darauf eingehen, was wir gut können, und die Leute auch in den Bereichen, in denen sie stark sind, einsetzen.
Weitere Interviews
Die Sensibilisierungskampagne «Einfach besser!» will Erwachsene mit Lücken in den Grundkompetenzen ansprechen und für einen Grundkompetenzen-Kurs motivieren. Gleichzeitig wird die Bevölkerung über Grundkompetenzen sensibilisiert.
Hotline für Betroffene: 0800 474 747
Aline Leitner & Fabienne Müller
Fotos: Florian Spring