Wie keine bis geringe Digitalkompetenzen nicht nur sozial, sondern auch finanziell ausgrenzen
Grundkompetenzen: Lesen, Schreiben, Rechnen und der Umgang mit digitalen Medien. Allein im Kanton Bern haben etwa 70'000 Erwachsene Mühe mit Lesen oder Schreiben einfacher Texte.
Für Jacqueline Heimgartner sind Grundkompetenzen herausfordernd. In den Wintermonaten verkauft sie selbst gemachte Kerzen auf Weihnachtsmärkten. Immer begleitet von Merlin, ihrem Königspudel. Im Interview gewährt Jacqueline Heimgartner uns einen Einblick in ihren Alltag. Und sie macht anderen Betroffenen Mut, sich für einen Grundkompetenzenkurs anzumelden.

Danke, dass Sie sich mit uns treffen. Können Sie beschreiben, welche Alltagssituationen für Sie schwierig sind?
Jacqueline Heimgartner: Es ist für mich schwierig, wenn Abkürzungen oder englische Ausdrücke gebraucht werden. Auch wenn alles über den PC gemacht werden muss. Und wenn man es nicht digital macht, kostet es etwas. Beim Einkauf in der Migros muss man nun auch die Codes selbst einlesen. Ich habe damit echt Mühe!
Wie gehen sie mit den Herausforderungen im Alltag um?
Ich bin froh, wenn ich abschalten und in den Wald gehen kann. Zum Teil gibt es digitale Sachen, die den Alltag erleichtern, zugegeben. Aber der grosse Teil ist für ältere Menschen wie mich schwierig.
Gehen Sie mit den Herausforderungen heute anders um als früher?
Jacqueline Heimgartner: Früher war es anders, menschlicher. Auch die Herausforderungen waren anders. Die Lehre als Gärtnerin habe ich abgebrochen. Hätte ich das Internet als Hilfsmittel schon gehabt, wäre es vielleicht einfacher gewesen.
Was oder wer motivierte Sie, sich für ein Grundkompetenzenkurs anzumelden?
Jacqueline Heimgartner: Beim ersten Kurs sprach mich der Tierarzt meines Hundes Merlin an. Beim zweiten Kurs wurde ich in einer Chat-Gruppe gefragt, weil es für den Kurs in Burgdorf zu wenig Teilnehmende gab.
Hat Ihnen der Besuch im Grundkompetenzenkurs gefallen?
Jacqueline Heimgartner: Der Lese- und Schreibkurs hat mir sehr gefallen! Mit Corona wurde es dann aber schwierig. Wir haben vieles online gemacht. Das war für mich kompliziert. Ohne den Kursleiter Andreas wäre ich aufgeschmissen gewesen. Diesen Herbst besuche ich wieder einen Kurs. Es ist streng, aber ich mache es trotzdem.
Hat sich durch den Kurs für Sie etwas verbessert?
Jacqueline Heimgartner: Ja, ich bin stärker geworden für das Leben. Ich traue mich heute, etwas zu unternehmen. Ich verstecke mich nicht mehr und kann heute dazu stehen, dass ich eine Schwäche habe. Und mich so besser behaupten.
Empfehlen Sie anderen Betroffenen einen Kursbesuch?
Jacqueline Heimgartner: Ja. Denn es ist nicht wie in der Schule. Im Kurs gibt es keinen Druck, und man kann mit der Lehrerin oder dem Lehrer reden. Es wird sehr auf die Leute eingegangen. Man sollte vor dem Kurs also nicht Angst haben, sondern es einfach ausprobieren!

Worin liegen Ihre Stärken?
Jacqueline Heimgartner: Ich kann gut Kerzen herstellen und mag den Kontakt zu den Leuten auf dem Markt.
Was gibt Ihnen Mut weiterzulernen?
Jacqueline Heimgartner: Geschichte interessiert mich. Ich möchte jetzt lernen, wie die Schweiz funktioniert. Im Grundkompetenzenkurs diskutieren wir online auch über solche Sachen. Ich habe -unter anderem dank den Grundkompetenzenkursen – meine Furcht vor den «digitalen Sachen» abgelegt.
Was möchten Sie anderen betroffenen Personen mitteilen?
Jacqueline Heimgartner: Niemals aufgeben!
Was möchten Sie Personen sagen, die noch nie etwas über Grundkompetenzen gehört haben?
Jacqueline Heimgartner: Informieren Sie sich über Grundkompetenzen auf Google. Lernen Sie dazu.
Weitere Interviews
Die Sensibilisierungskampagne «Einfach besser!» will Erwachsene mit Lücken in den Grundkompetenzen ansprechen und für einen Grundkompetenzen-Kurs motivieren. Gleichzeitig wird die Bevölkerung über Grundkompetenzen sensibilisiert.
Hotline für Betroffene: 0800 474 747
Aline Leitner & Fabienne Müller
Fotos: Florian Spring