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Zu Beginn lernte ich einfach alles auswendig

Sieht den Maturitätsprüfungen zuversichtlich entgegen: Fjolla Sahatqija. Bild: Peter Brand

       

Fjolla Sahatqija ist Schülerin am Gymnasium Lerbermatt. Das ist alles andere als selbstverständlich, denn die junge Frau kam erst mit 16 Jahren in die Schweiz – ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Das hielt sie nicht davon ab, ihre Berufsziele mutig weiterzuverfolgen.

Peter Brand

Frau Sahatqija, Sie sind in Spanien aufgewachsen und leben nun seit drei Jahren in der Schweiz. Wie kam das alles?
Meine Eltern sind aus dem Kosovo. Wegen des Krieges sind sie in den Neunzigerjahren nach Mallorca geflüchtet, wo sie in der Folge ein Restaurant führten. Ich und meine Schwester kamen in Spanien zur Welt und gingen dort auch zur Schule. Eines Tages bot ein Verwandter aus der Schweiz meinen Eltern eine Stelle in seinem Restaurant an. Sie nahmen das Angebot an, und so kam es, dass wir in die Schweiz zogen, als ich 16 Jahre alt war und gerade die obligatorische Schule abgeschlossen hatte.

Und wie fanden Sie anschliessend den Weg ans Gymnasium?
Ich besuchte zuerst einen regionalen Intensivkurs, um die deutsche Sprache zu lernen. Mein Wunsch war immer, ins Gymnasium gehen zu können. Ich wusste aber nicht, ob dies aufgrund der Sprache möglich sein würde. Die Lehrerinnen unterstützten mich. Nachdem ich das Sprachniveau B2 erreicht hatte, kam es zu einem Gespräch mit der Schulleitung des Gymnasiums. Diese signalisierte Bereitschaft – und so konnte ich nach den Sportferien probeweise ins zweite Semester der Stufe GYM1 einsteigen.

Das war bestimmt ein schöner Moment für Sie?
Oh ja, denn ich war mir keineswegs sicher, ob es funktionieren würde. Ich probierte es einfach. Zum Glück konnte ich gute Noten aus Spanien vorlegen. Ich kam in eine bestehende Klasse und wurde vorbildlich aufgenommen. Alle waren sehr hilfsbereit und hatten Verständnis dafür, dass ich die Sprache noch nicht so gut beherrschte. Das erleichterte mir den Start enorm.

Wie ging es dann weiter?
Drei Wochen später kam die Corona-Pandemie, sodass ich das nächste halbe Jahr im Fernunterricht verbrachte. Das war für mich sehr schwierig. Ich musste mir alles selbst erarbeiten und konnte auch meine Mitschülerinnen und Mitschüler nicht richtig kennen lernen. Ab dem zweiten Jahr fand der Unterricht dann wieder vor Ort statt. Das war wie ein zweiter Start für mich.

Wurden Sie im Deutsch zusätzlich unterstützt?
Ja, im zweiten Ausbildungsjahr besuchte ich vier Stunden pro Woche Stützunterricht in Deutsch, aber auch in Französisch, weil ich diese Sprache in Spanien nicht gelernt hatte. Da sich Französisch und Spanisch nahe sind, machte ich hier jedoch schnelle Fortschritte. Im Deutsch verstehe ich mittlerweile praktisch alles, auch in Schweizerdeutsch.

Wahrscheinlich mussten Sie viel Aufwand für das Lernen betreiben?
Der Lernaufwand war tatsächlich beträchtlich. Vor allem der Anfang war schwierig. Ich musste plötzlich alle Inhalte in Deutsch verarbeiten und Tests in einer noch fremden Sprache schreiben. Das war eine grosse Umstellung. Verstehen konnte ich bald einmal vieles, aber ich hatte Mühe, mich mündlich und schriftlich auszudrücken. Zu Beginn lernte ich einfach alles auswendig, sodass ich das Gelernte auf Deutsch wiedergeben konnte.

Mittlerweile sind Sie im vierten und letzten Ausbildungsjahr und stehen ein halbes Jahr vor der Matura. Wie geht es Ihnen – sind Sie gut unterwegs?
Es geht mir sehr gut. Ich konnte unkompliziert Freundschaften schliessen, leistungsmässig habe ich zugelegt und inzwischen das Niveau der Klasse erreicht. Den Maturitätsprüfungen sehe ich zuversichtlich entgegen. Die Maturaarbeit habe ich bereits abgegeben und werde sie in den nächsten Tagen präsentieren.

Und welches sind Ihre weiteren Berufspläne?
Ich habe das Schwerpunktfach Wirtschaft und Recht besucht und möchte nach der Matura Betriebswirtschaft oder Volkswirtschaft studieren. Gerade heute findet an der Uni Bern ein Infoanlass statt, den ich besuchen werde. Ich bin rückblickend sehr froh, dass ich die Chance erhalten habe, das Gymnasium zu besuchen. Und dass ich das geschafft habe, bedeutet mir sehr viel.

Integration Fremdsprachiger an den Gymnasien

Für Schülerinnen und Schüler, die aus einem anderen Schulsystem zugezogen sind und nur über geringe Kenntnisse in Deutsch bzw. Französisch verfügen, kann das Aufnahmeverfahren angepasst werden.
Bei Schülerinnen und Schülern, die im Ausland ein Gymnasium besucht haben, prüft die Schulleitung des jeweiligen Gymnasiums die Aufnahme. Überdurchschnittlich geeignete Schülerinnen und Schüler können «sur Dossier» aufgenommen werden.
Bei Bedarf werden die Schülerinnen und Schüler während des Bildungsgangs mit individuellen Lernzielen und Stützunterricht in Deutsch und Französisch gefördert.
www.be.ch/gym-aufnahme

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