Demokratien stehen weltweit unter Druck. Isabel Schuler vom Think + Do Tank Pro Futuris erklärt, weshalb Lehrbetriebe ein ideales Übungsfeld für Demokratie sind und wie sie das demokratische Bewusstsein ihrer Lernenden stärken können.

Rolf Marti
Frau Schuler, wie steht es um die demokratische Beteiligung junger Menschen in der Schweiz?
Die durchschnittliche Stimm- und Wahlbeteiligung liegt bei rund 48 Prozent. Bei den 18- bis 24-Jährigen ist sie jedoch deutlich tiefer. Weniger als ein Drittel von ihnen geht an die Urne. Bei Berufslernenden sind es noch weniger. Generell gilt: Je höher der Bildungsgrad, desto höher die politische Beteiligung.
Wieso beteiligen sich junge Menschen weniger an der Demokratie?
Viele sind der Auffassung, dass sie keinen oder nur geringen Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft haben. Hier setzt Pro Futuris an. Unser Ziel ist es zu zeigen, dass die Demokratie von der Beteiligung und Mitgestaltung der Bevölkerung lebt. Und wir wollen insbesondere Jugendliche ermutigen, an der Gestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Das setzt voraus, dass sie sich als selbstwirksam erleben. Politische Bildung bedeutet daher auch, die Selbstwirksamkeit zu stärken und Mitwirkung zu trainieren. Wir zeigen aber auch, dass Demokratie mehr ist als abstimmen und wählen: der Arbeitsplatz, die Freizeit, der Freundeskreis – alles ist politisch.
Auf Ihrer Website steht: Unternehmen tragen Verantwortung für die Demokratie. Weshalb?
Erstens: Weil sie von den Errungenschaften unseres politischen Systems profitieren – von Rechtsstaatlichkeit, politischer Mitsprache, Gewaltentrennung, freien Medien und politischer Stabilität. Zweitens: Weil sie von Mitarbeitenden profitieren, die sich einbringen, die mitdenken und die mitgestalten wollen.
Pro Futuris hat das Netzwerk «Unternehmen für Demokratie» gegründet. Was leistet es?
Unternehmen sind ein ideales Umfeld für politische Bildung. Dort kommen Menschen mit unterschiedlichem sozialem und kulturellem Kontext zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Wir organisieren für die beteiligten Unternehmen Netzwerktreffen und fördern so den Austausch über politische Bildung und demokratisches Engagement. Und wir führen mit ihren Lernenden einen halbtägigen Workshop zum Thema «Zukunftsgestaltung» durch.
Was lernen die Teilnehmenden dieses Workshops?
Wir diskutieren über Megatrends wie Individualisierung, Globalisierung, Gesundheit oder Sicherheit und setzen uns mit möglichen Zukünften auseinander. Wir verwenden bewusst den Plural, weil Zukunft nicht feststeht, sondern gestaltbar ist. Wir überlegen uns, welche Entwicklung wünschenswert wäre und was wir tun können, damit sich die Zukunft in die gewünschte Richtung entwickelt.
Wie reagieren die Lernenden auf den Workshop?
Überaus positiv. 80 Prozent bewerten ihn mit «gut» oder «sehr gut», 65 Prozent würden ihn weiterempfehlen. Viele Lernende machen sich in diesem Rahmen zum ersten Mal Gedanken über die Zukunft – und viele kommen zur Erkenntnis, dass sie für deren Gestaltung mitverantwortlich sind.
Verändert sich durch den Workshop die Einstellung der Lernenden zur Demokratie?
Ja, das zeigen unsere Vor- und Nachbefragungen. Vor dem Workshop glauben nur 40 Prozent der Lernenden, Einfluss auf die Gestaltung der Zukunft der Schweiz zu haben. Nach dem Workshop sind es 70 Prozent. Der Anteil jener, die der Auffassung sind, gar keinen Einfluss zu haben, sinkt von 20 auf 10 Prozent. Das ist erfreulich und zeigt: Politische Bildung wirkt.
Wie gross ist das Interesse der Wirtschaft an «Unternehmen für Demokratie»?
Das Netzwerk umfasst zurzeit acht grössere Unternehmen, die unser Engagement für die Demokratie teilen. Nach der erfolgreichen Pilotphase wollen wir das Netzwerk erweitern und unser Angebot skalieren. Neben grossen Unternehmen möchten wir auch KMUs einbinden. Das Interesse ist da – aber wir wollen nachhaltig wachsen, um die Qualität zu sichern.
Welche Kriterien müssen Unternehmen erfüllen, um Teil des Netzwerks zu werden?
Sie müssen ihren Unternehmenssitz in der Schweiz haben, sich öffentlich zur Demokratie bekennen, an den Netzwerktreffen teilnehmen und den Workshop mit ihren Lernenden umsetzen. Zudem erwarten wir, dass sie unsere Kommunikationsaktivitäten unterstützen.
Pro Futuris
Pro Futuris ist ein Think + Do Tank für demokratische Kultur. Er wurde 2022 von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) gegründet. Ziel ist, die Demokratie durch Forschung und praxisnahe Projekte zu stärken. Pro Futuris will mehr Menschen an demokratischen Entscheidungen beteiligen, den respektvollen Umgang zwischen Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten fördern und dazu beitragen, dass die Schweiz ihre Demokratie mutig und zukunftsgerichtet gestaltet.
www.profuturis.ch
www.unternehmenfuerdemokratie.ch
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