Berufslernende müssen fähig sein, bei ihrer Arbeit umweltschonend und nachhaltig vorzugehen. Wie werden sie in Bezug auf Nachhaltigkeit sensibilisiert und gefördert? Nachgefragt bei Michael Ramseier. Er ist Berufsschullehrer und Chefexperte für die Kochberufe EFZ.
Peter Brand
«Nachhaltigkeit bedeutet nicht, Gewinne zu erwirtschaften, die dann in Umwelt- und Sozialprojekte fliessen, sondern Gewinne bereits umwelt- und sozialverträglich zu erwirtschaften.» Herr Ramseier, was halten Sie von dieser Definition?
Sie widerspiegelt unser Wunschdenken. Nachhaltigkeit bedeutet aus meiner Sicht, unsere Bedürfnisse und Ressourcen in Einklang zu halten. Es geht darum, die Bedürfnisse der heutigen Generation zu erfüllen, ohne künftige Generationen zu gefährden. Nachhaltigkeit ist oft ein Begriff für das schlechte Gewissen.
Wie meinen Sie das?
Wir wissen alle, dass wir über dem Limit leben. Also unternehmen wir eine kleine Anstrengung, indem wir beispielsweise die Kartoffeln direkt beim Bauer einkaufen. Wir kratzen ein wenig am Lack, lassen es dann aber wieder bleiben und machen weiter wie bisher. In einer Gesellschaft, die zunehmend Umweltprobleme und soziale Ungerechtigkeiten erkennt, kann das Bewusstsein für diese Probleme zu einem Gefühl der Verantwortung führen. Diese kann sich in einem schlechten Gewissen manifestieren, insbesondere wenn ich erkenne, dass mein Verhalten zu Problemen beiträgt.
Welche Bedeutung hat die Nachhaltigkeit im Gastgewerbe?
Sie ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Das zeigt schon nur die Tatsache, dass in der neuen Bildungsverordnung, die im Sommer in Kraft tritt, Nachhaltigkeit und Umwelt wichtige Handlungskompetenzen sind. Es ist ein Umdenken im Gang. Die Branche wird sich zunehmend bewusst, welche Schlüsselaspekte die Bedeutung der Nachhaltigkeit im Gastgewerbe unterstreichen.
Woran denken Sie genau?
Zum Beispiel an die Schonung der Ressourcen, die Reduktion der Umweltauswirkungen, die veränderten Kundenbedürfnisse, den Wettbewerbsvorteil durch nachhaltige Produkte oder die soziale Verantwortung. Bei Letzterer geht es beispielsweise darum, Arbeitszeitmodelle und Arbeitsbedingungen zu schaffen, damit das Gastgewerbe attraktiv bleibt. Die Gastronomen müssen das abdecken können. Nun sollten sie aber auch noch nachhaltig einkaufen, nachhaltig produzieren, Food Waste vermeiden, nachhaltig Strom brauchen, nachhaltig reinigen. Das ist oft die Quadratur des Kreises. Letztlich kostet Nachhaltigkeit und die Konsumentinnen und Konsumenten müssen bereit sein dafür tiefer ins Portemonnaie zu greifen.
Sie bilden angehende Köchinnen und Köche aus. Wie bringen Sie ihnen die Nachhaltigkeit näher?
Der Schlüssel dazu ist die Bildung. Hier sind bereits Elternhaus und Volksschule in der Pflicht. Unsere Lernenden müssen zuerst verstehen, was Nachhaltigkeit ist. Im Unterricht hängen wir das an geeigneten Praxissituationen auf. Wir arbeiten oft und gerne mit persönlicher Betroffenheit. Wir zeigen Missstände auf, reflektieren das persönliche Verhalten und nehmen regionale und globale Themen in den Fokus. Zudem halten wir die Lernenden an, respektvoll mit Lebensmitteln umzugehen und alles zu verwerten.
Die heutige Jugend engagiert sich für Umwelt und Klimaschutz. Müssen Sie die Lernenden bezüglich nachhaltigen Kochens überhaupt motivieren?
In meinen Augen ist nur eine Minderheit für dieses Thema sensibilisiert. Vielen Lernenden ist die Nachhaltigkeit zu Beginn der Lehre egal. Das zeigt sich beispielsweise im Umgang mit den Lebensmitteln oder in der Vorstellung, was diese kosten. Umso wichtiger ist es, ihnen diese Themen näher zu bringen. Sie müssen motiviert werden – insbesondere dann, wenn das Verändern von Gewohnheiten und Handlungen ausserhalb der Komfortzone liegt.
Wohin möchten Sie die Lernenden punkto Nachhaltigkeit bringen?
Sie sollen gut informiert und kritisch sein und über Handlungsoptionen in ihrem Beruf verfügen. Nachhaltigkeit soll für sie nicht nur ein leeres Modewort sein. Die Kaufkraft und unser Reichtum wirkt der Nachhaltigkeit oft entgegen. Das versuche ich ihnen vor Augen zu führen. Wir können es uns beispielsweise problemlos leisten, ein angefangenes Sandwich einfach wegzuwerfen. Später kann man sich doch schmerzlos ein neues kaufen. Das Beispiel zeigt: Die Fähigkeit zum Verzicht ist mit dem gestiegenen Wohlstand geschwunden. Verzicht ist jedoch eine zentrale Handlungskompetenz punkto Nachhaltigkeit.
Vertiefender Link
Mehr zur neuen Bildungsverordnung Koch/Köchin EFZ finden Sie unter:
www.sbfi.admin.ch (< Bildung > Berufliche Grundbildung > Berufsverzeichnis > Koch)
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