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Ingenieurinnen — «Je technischer ein Beruf, desto weniger Mädchen»

Frauen sind in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) stark untervertreten. Was würde sie motivieren, Ingenieurin zu werden? Dieser Frage ist Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin Isabel Christensen in ihrer Masterarbeit nachgegangen.

«Mädchen sollten motiviert werden, an MINT-Projekten, Mathematikwettbewerben usw. teilzunehmen», sagt Isabel Christensen.

Rolf Marti


Frau Christensen, wie oft treffen Sie als Berufsberaterin auf junge Frauen, die sich für einen MINT-Beruf interessieren?
Sehr selten. Und wenn, dann interessieren sie sich für Berufe wie Informatikerin oder Laborantin und weniger für eine Ausbildung im Bereich der Technik. Es gilt: Je technischer ein Beruf, desto weniger Mädchen.

Laut Statistik beträgt der Frauenanteil in den Ingenieurstudiengängen der Schweizer Hochschulen 18 Prozent. Ist das ein Problem?
Ja. Erstens, weil gemischte Teams effektiver arbeiten, bessere Entscheide treffen und so innovativere Lösungen und Produkte hervorbringen. Zweitens, weil die Gleichstellung behindert wird, wenn Frauen primär typische Frauenberufe wählen. Diese zeichnen sich oft durch tiefes Lohnniveau und schlechte Karrieremöglichkeiten aus. Drittens, weil die MINT-Branche ihren Fachkräftebedarf nicht allein durch Männer decken kann.

Sie sind in Ihrer Masterarbeit der Frage nachgegangen, was junge Frauen zu einem Ingenieurstudium motivieren könnte. Welches sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Ich habe Interviews mit Maschinenbau- und Elektrotechnikstudentinnen geführt. Was sie bei der Studienwahl primär motiviert hat, sind positive Lernerfahrungen im MINT-Bereich. Hinzu kommen ein unterstützendes Umfeld und Vorbilder.

Betrachten wir diese Faktoren im Detail. Wie können Mädchen positive Lernerfahrungen im MINT-Bereich machen? Und: Warum ist das wichtig?
Für die Interessensausbildung ist die Selbstwirksamkeitserwartung zentral – also die Überzeugung, dass man eine Herausforderung meistern kann. Das setzt positive Lernerfahrungen voraus. Mädchen sollten deshalb – insbesondere in der Schule – motiviert werden, an MINT-Projekten, Mathematikwettbewerben usw. teilzunehmen. Je früher positive Erfahrungen gemacht werden, desto besser. Den Lehrpersonen fällt also eine bedeutende Rolle zu.

Welche Bedeutung hat das familiäre Umfeld für eine MINT-Berufswahl?
Für Mädchen, die sich für einen MINT-Beruf interessieren, ist die Ermutigung und Begleitung durch die Eltern ein entscheidender Faktor. Hier können die Eltern am meisten Einfluss nehmen. Weniger Einfluss hat offenbar die Beschäftigung mit Technik in der Familie.

Welche Rolle spielen Vorbilder – also Frauen, die in MINT-Berufe Karriere machen?
Es ist wichtig, dass sich junge Frauen an Vorbildern orientieren können – insbesondere zum Zeitpunkt der Berufs- bzw. der Studienwahl, aber auch während der Ausbildung. Das motiviert. Auch die mediale Präsenz von Frauen in technischen Berufen setzt positive Signale.

Mussten die Ingenieurstudentinnen, die Sie interviewt haben, bei der Studienwahl oder im Studium frauenspezifische Hürden überwinden?
Die Studentinnen erzählten weniger von Hürden bei der Studienwahl als von Hürden im Studium. Das hat mich überrascht. Sie sagten beispielsweise, dass Frauen unter erhöhtem Leistungsdruck stünden, sich im männerdominierten Umfeld oft exponiert fühlten, weniger Redezeit erhielten und mit geschlechtsspezifischen Stereotypen konfrontiert seien. Viele befürchten, dass es später in der Arbeitswelt ebenso sein könnte.

Wie steht es um die Arbeitsbedingungen in MINT-Berufen? Sind sie tendenziell ungünstiger für Frauen – beispielsweise in Bezug auf Vereinbarkeit von Familie und Beruf?
Leider ja. In männertypischen Berufen ist Teilzeitarbeit noch wenig verbreitet, dafür ist die Arbeitsbelastung oft überdurchschnittlich hoch. Das erschwert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In meinen Interviews hat sich gezeigt, dass sich angehende Ingenieurinnen darüber Gedanken machen.

Welche Erkenntnisse aus der Masterarbeit fliessen in Ihre Tätigkeit als Berufsberaterin ein?
Die Auseinandersetzung mit dem Thema hat mein Bewusstsein für die Problematik weiter geschärft. In den Beratungen habe ich ein Augenmerk auf Mädchen, die Interesse an MINT zeigen, aber an ihren Kompetenzen zweifeln. Ich ermutige sie zu entsprechenden Lernerfahrungen und zum Schnuppern in technischen Berufen. Zudem sensibilisiere ich die Eltern für das Thema. Ich informiere sie über MINT-Berufe und zeige auf, wie viele tolle MINT-Projekte es gibt – auch spezifisch für Mädchen.

Masterarbeit

Isabel Christensen hat ihre Masterarbeit 2022 beim IAP Institut für Angewandte Psychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) eingereicht. Titel: Auf dem Weg zur Ingenieurin: Geschlechtsuntypische Studienwahl bei Frauen.
https://lmy.de/PyFNjMji

Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen (SVIN)

SVIN engagiert sich seit 1991 für die Interessen qualifizierter und motivierter Fachfrauen aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Sie vertritt deren Interessen, vernetzt Fachfrauen und setzt Projekte um. www.svin.ch

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