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Grundbildung für Erwachsene — «Ich wollte unbedingt eine Ausbildung absolvieren»

Freut sich über ihren Berufsabschluss: Karthiga Thiruselvam, Fachfrau Gesundheit.

Mit dem Projekt «2. Chance auf eine 1. Ausbildung» bietet die Stanley Thomas Johnson Stiftung motivierten Erwachsenen die Chance, eine berufliche Grundbildung nachzuholen. Von diesem Angebot hat auch Karthiga Thiruselvam profitiert. Sie hat mit 38 Jahren ihre Lehre als Fachfrau Gesundheit abgeschlossen.

Peter Brand

Frau Thiruselvam, Sie sind aus Sri Lanka. Wie kamen Sie in die Schweiz? Was ist Ihre Geschichte?
Ich studierte in meinem Heimatland Chemie. Aufgrund des Krieges und der schwierigen politischen Lage wollte ich das Land verlassen. Daher folgte ich meinem Mann in die Schweiz. Er kommt ebenfalls aus Sri Lanka, ist jedoch bereits in den Neunzigerjahren als kleiner Junge hierhergekommen. Ich war 21-jährig, als ich 2006 in die Schweiz kam. Meine Eltern und meine Geschwister leben heute noch in Sri Lanka. Mein Bruder ist im Krieg gefallen.

Wie ging es für Sie in der Schweiz beruflich weiter?
Bei meiner Ankunft sprach ich praktisch kein Deutsch. Daher war es mir vorderhand nicht möglich, mein Studium wieder aufzunehmen. Zudem kamen bald einmal unsere drei Kinder zur Welt. Das Studium rückte in weite Ferne. So machte ich mir Gedanken, wie es weitergehen könnte. Ich arbeitete die ersten sieben Jahre sieben Tage die Woche als Zeitungsverträgerin. Das hatte den Vorteil, dass ich früh am Morgen beginnen konnte und danach Zeit für die Kinder hatte. Zusätzlich arbeitete ich im Restaurant des Hauses der Religionen, wo mein Mann als Vorstandsmitglied tätig ist.

2018 bewarben Sie sich für einen Platz im Projekt «2. Chance auf eine 1. Ausbildung». Welches waren Ihre Überlegungen?
Ich wollte unbedingt eine Ausbildung absolvieren. Da ein Studium zu aufwendig war, überlegte ich mir andere Lösungen. Es reifte die Idee in mir, Laborantin zu werden. Ich hörte von der Ausschreibung der Johnson-Stiftung und bewarb mich 2019 für einen Platz. Ich war sehr glücklich, dass ich aufgenommen wurde, denn es gingen sehr viele Bewerbungen ein, wie ich später hörte.

Im Rahmen des Projekts begannen Sie 2020 eine Ausbildung als Fachfrau Gesundheit. Warum entschieden Sie sich für diesen Beruf?
Ich suchte über ein Jahr lang einen Ausbildungslatz als Laborantin, hatte aber keinen Erfolg. Im Raum Bern gibt es nicht so viele Lehrstellen in diesem Beruf. Und nach Basel oder Zürich auszuweichen, war mir mit den Kindern einfach nicht möglich. So suchte ich erneut nach Alternativen. Letztlich entschied ich mich für eine Ausbildung als Fachfrau Gesundheit. Zu meiner grossen Freude fand ich eine Lehrstelle.

Sie absolvierten Ihre Lehre im Schlossgarten Riggisberg. Wie erlebten Sie diese Zeit?
Gut und intensiv. Mein Lehrbetrieb ist ein Wohnheim für Menschen mit psychischen und/oder geistigen Beeinträchtigungen. Zu Beginn hatte ich etwas Bedenken und grossen Respekt vor der Arbeit mit dieser Zielgruppe. Ich verfügte über keine Erfahrung in der Pflege, bin aber ein kontaktfreudiger Mensch. Obwohl ich alles andere als perfekt Deutsch sprach, wurde ich von den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie vom Team schnell akzeptiert und fand Gefallen an meiner Arbeit. Wir sind wie eine grosse Familie. Den schulischen Unterricht besuchte ich an der BFF Bern. Ich absolvierte dort die reguläre dreijährige Lehre.

Wie wurden Sie in der Lehrzeit von der Johnson-Stiftung unterstützt?
Ich wurde ergänzend zu den kantonalen Stipendien finanziell unterstützt. Das machte die Ausbildung überhaupt erst möglich. Zudem stellte mir die Stiftung einen Coach zur Seite. Er unterstützte mich während der Lehrstellensuche, aber auch während der Ausbildungszeit. Diese Begleitung war sehr hilfreich. Wir trafen uns regelmässig und besprachen uns.

Vor zwei Wochen haben Sie Ihre Lehre mit Erfolg abgeschlossen. Was bedeutet es Ihnen, einen anerkannten Berufsabschluss zu haben?
Ich freue mich riesig darüber und bin stolz, dass ich es geschafft habe – umso mehr, als Deutsch eine sehr schwierige Sprache ist. Es ist schön, dass mein Beruf ein gefragter Job ist. Es gibt viele offene Stellen.

Wie sehen Ihre weiteren Berufspläne aus?
Bis im September arbeite ich temporär auf meinem Beruf. Danach absolviere ich gleich noch die Ausbildung als Pflegefachfrau HF. Ich fühle, dass ich im richtigen Beruf gelandet bin und möchte mich darin weiterentwickeln.

Das Projekt

Die erste Staffel des Projekts «2. Chance auf eine 1. Ausbildung» startete 2016, zwei weitere wurden 2018 und 2020 lanciert. Die vierte Staffel startet 2024. Interessierte Personen können sich bis am 31. Dezember 2023 für die Informationsveranstaltung anmelden. Bewerbung für die vierte Staffel können ab Februar 2024 eingereicht werden. Mehr zum Projekt: www.2chance1ausbildung.ch
 

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