Logo Kanton Bern / Canton de BerneBildungs- und Kulturdirektion
22. August 2023
Zurück zur Übersicht
Medienmitteilung der Bildungs- und Kulturdirektion
:

Sechs Berner Traditionen neu im nationalen Inventar

Die überarbeitete «Liste der lebendigen Traditionen der Schweiz» liegt vor. Sie enthält sechs Neuaufnahmen aus dem Kanton Bern: Das Wybermahl in Hettiswil, der Velogemel aus Grindelwald, die Huttwiler Märkte, die Métairies im Berner Jura, die pionierhafte Nutzung erneuerbaren Energien im Kanton Bern und die Viehglockengiesserei.

Der Bund hat das nationale Inventar der lebendigen Traditionen aktualisiert. Ein vom Bundesamt für Kultur mandatiertes Expertengremium begleitete den Prozess und empfahl die Aufnahme von insgesamt 29 Vorschlägen aus mehreren Kantonen. Die folgenden sechs vom Amt für Kultur des Kantons Bern vorgeschlagenen Traditionen wurden ins nationale Inventar aufgenommen.

Wybermahl in Hettiswil

Jedes zweite Jahr feiern die Frauen in Hettiswil (Gemeinde Krauchthal) das Wybermahl. Dies finanzieren sie aus einer historischen Schenkung: Weil die Frauen von Hettiswil das dortige Cluniazenserpriorat 1375 gegen die plündernden und brandschatzenden Gugler verteidigten und diesen eine totale Niederlage beifügten, erhielten sie für ihre Tapferkeit vom Prior des Klosters das Recht, am Jahrestag der Schlacht (26. Dezember) im Klosterwald Holz zu fällen. Da der Wald darunter zu sehr litt, wurde die Schenkung später abgeändert: Die Frauen erhielten eine Wiese, um mit deren Ertrag alljährlich ein Festmahl abzuhalten. 1885, nach mehr als 500 Jahren, wurde diese Feier verboten. Das wilde Festen der Bäuerinnen war nicht genehm, von nun an ging der Erlös an die Handarbeitsklassen des Ortes. 1985 organisierten sich die Hettiswilerinnen in einem «Komitee zur Wiedereinführung des Weibermahls» und kämpften hartnäckig durch verschiedene Instanzen für ihr altes Recht. Im Jahr 1990 konnte das Wybermahl erstmals wieder durchgeführt werden. Heute findet es alle zwei Jahre unter einem immer neuen Motto statt. Es ist eine der ganz wenigen Traditionen in der Schweiz, die ausschliesslich von und für Frauen gepflegt werden.

Velogemel aus Grindelwald

Das Schneefahrrad besteht aus einem hölzernen Gestell mit zwei Kufen, vorne durch eine Lenkstange steuerbar. Es erlaubt sitzend ein Vorwärtskommen, mittels Beinbewegungen und Abstossen mit den Schuhen, ähnlich dem ersten Fahrrad von Drais (Draisine). Erfunden wurde es 1911 von Christian Bühlmann aus Grindelwald, einem Absolventen der Holzschnitzerschule in Brienz und Chef einer Sägerei. Es sollte ermöglichen, im Schnee auf ebenen und abwärts führenden Strecken rascher zum Ziel zu kommen. In Anlehnung an das lokale Dialektwort «Gemel» für Schlitten nannten die Einheimischen das Gefährt bald einmal Velogemel. Dieser wird noch immer für tägliche Verrichtungen gebraucht, allerdings ist er heute eher Sportgerät und Liebhaberobjekt. Der Velogemel steht exemplarisch für innovatives Handwerk: eine bereits mehr als hundertjährige, scheinbar einfache Erfindung, die sich seit über hundert Jahren am Leben hält und eng mit der lokalen Identität verbunden ist. Er wird lokal produziert und hat sich zu einer Art Wahrzeichen Grindelwalds gemausert. Der Vertrieb dehnt sich aber über die ganze Schweiz und ins Ausland aus.

Die Métairies im Berner Jura

Die Métairies sind das Herzstück der Alpwirtschaft auf den Jurakämmen und insbesondere auf der Chasseral-Kette. Das Meiertum (métayage), das im 13. Jahrhundert entstand, ist eine Pachtform, bei der der Eigentümer und der Pächter eines Landguts sich die Kosten und den Ertrag hälftig teilen. Heute beherbergt der Chasseral auf seinen Sommerweiden fast 5000 Stück Vieh und zählt 45 Pachtbetriebe, die Burgergemeinden oder landwirtschaftlichen Genossenschaften gehören. Sie werden während der Sömmerungszeit oder ganzjährig bewohnt. Einige dieser Höfe produzieren Bergkäse und setzen damit eine Tradition aus dem 15. Jahrhundert fort. Viele Métairies wurden mittlerweile zu Berggasthöfen umgewandelt. Ab dem späten Mittelalter hat die Einrichtung von Métairies dazu beigetragen, die natürlichen Ressourcen des Gebirges zu nutzen. Sie spielte eine entscheidende Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung einer schwer zugänglichen Region mit herausforderndem Klima. Die Métairies förderten die Entfaltung einer alpinen Gesellschaft. Bergschulen zeugen heute davon.

Huttwiler Märkte

Huttwil im Oberaargau pflegt seine Markttradition als einst bedeutender Marktort an der direkten Verbindungslinie zwischen Bern und Luzern. Ein geschriebenes Stadtrecht hatte Huttwil wohl nie, doch bereits 1467 wurde das Marktrecht erwähnt. Obwohl die Gemeinde mit knapp 5000 Bewohnerinnen und Bewohnern heute nicht mehr als Stadt gilt, ist sie dies im Selbstverständnis geblieben. Trotz schwindender Bedeutung der Märkte im gegenwärtigen Konsumverhalten investiert Huttwil viel in die Pflege dieser Tradition. Neben dem wöchentlichen Gemüsemarkt mit regionalen Produkten gibt es den Frühlingsmärit, einen Summernachtsmärit, einen Zibele- und Herbstmärit und einen Altjahrsmärit. Zusätzlich werden Themenmärkte wie der Wiehnachtsmärit, der Käsemarkt und ein historischer Handwerkermärit durchgeführt. Diese Vielzahl von Märkten in dieser mittelgrossen Ortschaft, die heute nicht mehr an den Hauptachsen liegt, zeugt von der Bedeutung der Markttradition und deren Ausstrahlung über die Region hinaus. Gemeinde, Trägerschaften und Bevölkerung bekennen sich zu dieser Tradition, halten sie lebendig und erneuern sie laufend.

Nutzung erneuerbarer Energien im Kanton Bern

Beispielhaft für die Vielzahl von gemeinschaftlich betriebenen Kleinstkraftwerken im Kanton Bern ist der genossenschaftlich organisierte Betrieb der alten Gewerbekanäle in Burgdorf. Hier wird das Wissen in der Pflege und der Nutzung der alten Anlagen an immer neue Generationen weitergegeben. Während über Jahrhunderte hinweg erneuerbare Energien die einzigen Energiequellen waren, gewannen mit der Entwicklung der Industriegesellschaft fossile und später nukleare Brennstoffe stark an Bedeutung. Parallel dazu wurde die Nutzung erneuerbarer Energien beibehalten. Alte Anlagen wurden gepflegt oder neue entwickelt, wobei der Kanton Bern eine Vorreiterrolle einnahm. So war das Sonnenkraftwerk auf dem Mont-Soleil bei seiner Inbetriebnahme 1992 die grösste Photovoltaikanlage Europas. Das Photovoltaiklabor in Burgdorf ermöglichte erstmals eine ausschliesslich solare Beheizung von Einfamilienhäusern, und auf dem Mont-Crosin befindet sich der zurzeit grösste Windpark der Schweiz. Die genossenschaftliche Nutzung und Pflege alter Anlagen zur Energiegewinnung sind als Tradition in der Kategorie «Wissen im Umgang mit der Natur» zu werten, ebenso die Investition in die Entwicklung neuer Technologien für die Nutzung erneuerbarer Energien.

Viehglockengiesserei

Seit den Anfängen der Viehzucht tragen Tiere Glocken. In der Schweiz waren Glocken, die aus Bronze gegossen wurden, über lange Zeit ausschliesslich zeremoniellen und religiösen Zwecken vorbehalten. Im 18. Jahrhundert begann man, diese in der Viehzucht zu verwenden, und ihre Nutzung weitete sich gegen 1820 weiter aus. Von Beginn an zierte eine Vielzahl unterschiedlicher Motive wie Medaillons, Kreuze, Broschen sowie militärische Embleme, Knöpfe oder gar Münzprägungen die Glocke. Diese Motive erzählten vom Alltag der Giesser und Landwirte. Die Motive reflektierten gleichsam die Überzeugungen, Hoffnungen und Ängste der Landbevölkerung von damals und heute.

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts lässt sich in der Schweiz die Existenz von ungefähr 200 Giessern belegen. Die Pioniere unter ihnen waren wandernde Kesselschmiede aus dem Piemont, die ihre Sommer in der Schweiz verbrachten und auf Bauernhöfen oder Marktplätzen ihre Glocken gossen. Mit der Zeit etablierten sich Werkstätten in der ganzen Eidgenossenschaft. Das in vielen Familien über Generationen hinweg kultivierte handwerkliche Geschick dieser Giesser steht indes vor ernsthaften Herausforderungen. Heute gibt es in der Schweiz lediglich fünf Werkstätten, die diese Fertigkeit noch ausüben. Nur in den Berner Orten Bärau und Uetendorf wird die Viehglockengiesserei als Haupttätigkeit ausgeübt.

Immaterielles Kulturerbe bewahren

Die Schweiz ist gemäss Unesco-Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes dazu verpflichtet, ein Inventar der lebendigen Traditionen zu führen. Dieses Inventar wird periodisch überarbeitet und aktualisiert. Die Kantone sind dabei aufgerufen, ihre bestehenden Einträge zu überarbeiten und Neueinträge aus ihren Regionen vorzuschlagen. Der Kanton Bern führt ein eigenes Inventar der lebendigen Traditionen, die seit Generationen auf dem Kantonsgebiet gepflegt werden. Dieses Inventar, basierend auf Anträgen von Gruppen, Vereinen und Verbänden, wurde – wie das nationale Inventar auch – überarbeitet und wird bis Ende dieses Jahres publiziert.

Hier geht’s zu den Berner Traditionen im nationalen Inventar

Seite teilen